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Leinen los

  • 9. Juli
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 11. Juli

Gedicht

ree

Zurück zwischen den Häusern und den Menschen

die mit erhobenen Smartphones durch die Gassen stolpern

verliert der Himmel seine Farben und weint darüber

die Luft wird kühl neben den Möwen

auf den Autodächern lassen sie weiße Kleckse

der Wolken, unter denen sie flogen

als der Himmel noch blau war


Doch heute zieht das alte Grau ein

es lässt die Gesichter lang werden in den Cafés

in den Restaurants unter den eingeklappten Schirmen

Touristen in Speisekarten vertieft

Menschen in Launen gefangen im Urlaub

Handtaschen auf Stühlen und Münder in Tassen

ein Auto rast vorbei und hupt


Wo sind die Lächelnden? Wo die Lachenden?

Sind sie heute zu Haus geblieben?


Arbeiter ziehen mit wackelnden Helmen

von der Werft durch die Stadt

trinken Bier vor den Getränkeläden

auf den Parkplätzen, reden und - lachen laut!

Die Möwen kreischen plötzlich mit

am Hafen schaukeln die Boote

letzte Fischbrötchen werden gereicht

vor dem Schließen wacht ein Plastikpirat

auf seinem Immerthron vor dem Wassertor


Es kommt mir wie gestern vor

dass ich hier die Wärme der Mauern empfing

die aus dem Mittelalter zu mir sprachen

die mir Geschichten erzählten

und meine Seiten füllten unterm Dach


Es kommt mir wie gestern vor

dass ich am runden Tisch im Atelier Menschen

empfing und sie nahe sein ließ wie all das Wismar

das mich inspirierte und mich meinte


Und doch ist ein Stück Himmel anders geworden

der Blick zum Hafen am Abend durch die Laternen

aus der Schaffensstube ist kein Rodiwana mehr

der Gang in die Stadt oder an den Hafen ist

menschenvoll und doch auf einmal leer


Habe ich alles genossen und gefühlt

was ich fühlen konnte und geschrieben

was nur ging, so empfinde ich nun meine Stadt

als sonderbar neu, ein anderes Ding

wie ein Wesen, das verstummt und wartet

wie jemand, den ich einst kannte und der nun

an mir vorübergeht


Ein Mann am Hafen setzt sich neben uns

er hütete einst Schafe

herdenlos nun, er hat sie verloren

betrachtet er seinen Einkaufswagen

Er ist ein Weiser, der zu uns spricht

ein Leben voller Gesicht

Wir schildern, sprechen frei

er nickt, ich sehe seinen Augenfältchen

"Vielleicht, weil ihr nicht von hier seid."-

sagt er, der selbst Hergereiste

und ich fühle, dass er ein Bote ist

der noch mehr zu sagen hat

bin ganz Momo und ganz Ohr

neben ihm, der uns viel erzählt...


Wir sind nicht von hier.

Der Schäfer ist nicht von hier.

Die Werftarbeiter sind nicht von hier.

Die von hier sind, sind nicht immer hier.

Die von hier sind, sind nicht geblieben

oder bleiben gern oder reisen gern

oder sind einfach nur hier -

wie die Stadt, die besucht wird von

Menschen mit Smartphones

die aus Autos oder von Kreuzfahrtschiffen steigen

von Reisenden und Gestalten wie einst Kinofiguren

von Geschichte und Geschichten

von Schmerz, Grusel und Leid

von Piraten Schweden und Mittelalterzeit

von Politik, Machern, Guten und Spionen

und von allen, die hier wohnen


Diese Stadt ist eine Besuchte und eine Seiende

diese Stadt ist ein Hafen - offen für ein Kommen und Gehen

Häuser bleiben - doch Menschen machen sie - machen sie aus

wie die Steine einer Mauer Mörtel brauchen

so auch die Menschen einer Straße

wie die Möwen den Himmel brauchen

und die Arbeiter die Werft

wie die Autos die Straßen

und der Parkplatz die Touristen

wie ich den Blick aus meinem Fenster beim Schreiben


Nicht die Stadt hat sich verändert

mein Blick ist es nach vielen Jahren

sind es doch die Erwartungen, die da waren?


Der Schäfer sitzt am Hafen ohne Herde

Die Möwe noch auf dem Autodach

das Paar im New Orleans streitet sich

ein Werftarbeiter lacht

Die Haustür schlägt zum dritten Mal

eingezogen ist die Kälte

neue Eigentümer - Mieterhöhung statt Nachbarschaft,

Freunde ziehen aus und wir ziehen mit

sitzen nun am Hafen zu dritt

Schriftstellerin, Künstler und Schäfer

sprechen über sie, diese schöne Stadt

und ich denke

Sie weiß es genau:

Wismar spürt es und atmet und lebt

bietet jedem Neuem hier ein Leben, das bebt

und gibt dem, der geht, noch vieles mit:

Romane, Gedanken, Freunde und gute Ideen

einen Geist, der bereit ist zum Entstehen

zu verstehen und jetzt auch zum Gehen



Bente Amlandt, 09.07.2025


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